Seit 2005 gibt es Hartz IV, eine Geldleistung vom Staat für leistungsberechtigte arbeitslose Erwachsene und deren Familienangehörige, die im selben Haushalt leben und über kein eigenes Einkommen verfügen. Zu den Hartz-IV-Empfängern gehören Kinder. 2,03 Millionen Kinder standen im Dezember 2017 im Leistungsbezug und waren auf diese Grundabsicherung angewiesen. Wir haben uns gefragt: Was bedeutet Hartz IV für Kinder?
Hartz IV: Stigmata und Grundstein für Kinderarmut
Immer wieder gibt es Politiker, Journalisten und Bürger, die der Auffassung sind, dass es den Menschen in Deutschland und Europa gut geht. Eine Auffassung, bei der man geteilter Meinung sein darf. Als Europäer leben wir in relativ friedlichen Ländern und in weitestgehend guten Wohnräumen. Fließendes Wasser kommt aus der Wand, Supermärkte haben an 6 Wochentagen geöffnet und es gibt in Europa für arbeitslose Erwachsene Sozialleistungen vom Staat. Außerdem können bedürftige Familien sehr günstig bei der Spendenorganisation der Tafel Lebensmittel und Hygieneprodukte beziehen. Oftmals ist der Gang zu Tafeln und Kleiderkammern die einzige Möglichkeit, allerärgste Existenznöte zu lindern. Beschämend, in einem Land, das als reich bezeichnet wird.
Reicht es, einfach nur mit Hartz 4 zu überleben?
Ja, Überleben ist in Deutschland auch ohne Arbeit und eigenes, angemessenes Einkommen möglich. Soviel zur positiven Feststellung über Hartz IV. Doch die Kehrseite der Medaille muss ebenfalls betrachtet werden. Und dabei zeigt sich die Schattenseite. Die Schattenseite, in der die “Hartz IV Kinder” aufwachsen. Ist es ihrer würdig, ihr Leid mit dem Leid noch ärmerer Kinder zu vergleichen? Verpasst der Staat die Chance, europäische Kinder fit für eine bessere Welt zu machen? Kinder, die vielleicht in Zukunft dafür sorgen könnten, weltweit Armut zu reduzieren und Kriege zu verhindern?
Stigmatisiert: Ein Leben als Schattenkind in der Wohlstandsgesellschaft
Hartz IV ist ein Stigmata und führt unmittelbar in Kinderarmut. Kinder von Hartz-4-Empfängern erleben vielfache Ausgrenzung. Sie werden von Kindern aus gutsituierten Elternhäusern gehänselt, weil sie keine Markenkleidung tragen, nicht die neuesten Smartphone Modelle aus der Hosentasche ziehen und die Teilnahme an kostenpflichtigen Freizeitaktivitäten für die “Schattenkinder” oft nicht möglich ist.
Kinderarmut: Schuld sind die Eltern – oder?
Es ist leicht zu sagen, Eltern, die im Bezug von Hartz IV stehen, sollen sich gefälligst einen Job suchen und ihre Kinder zu mehr Selbstbewusstsein erziehen. Nein! Jobs fallen nicht vom Himmel. Erst recht nicht in Zeiten, wo Firmen aus Steuergründen ins Ausland abwandern, technisch-gesteuerte Produktionsprozesse die Arbeitskraft Mensch überflüssig machen und künstliche Intelligenz zunehmend Arbeitsplätze abschafft. Übrigens: nicht nur Hartz 4, sondern auch geringe Einkommen führen in Kinderarmut – und das ist in unserer Wohlstandsgesellschaft mitten in Deutschland keine Seltenheit.
Hartz-4-Empfänger: Erziehungsunlustige Versager?
Und wie kann man nur davon ausgehen, dass H4 Eltern mit erzieherischem Fokus auf mehr Selbstbewusstsein die Probleme von “Hartz IV Kindern” verhindern oder lösen könnten?
Kinder sind bis zum Erwachsenenalter tagtäglich einer zunehmend verrohenden Gesellschaft ausgeliefert. Kann man zu Selbstbewusstsein erzogenen Kindern im Alter von 3, 7, 10 oder 12 Jahren wirklich abverlangen, sich Tag für Tag selbstbewusst Mobbing und Diskrimierung aufgrund der der finanziellen Situation der Familie entgegenzusetzen?
Kinderarmut – Fluch oder Segen für die armen Kinder?
Sollte es wirklich verwundern, wenn die geschmähten “Hartz IV Kinder” in eine ausweglose Perspektivlosigkeit hineinwachsen? Oder ist es für die betroffenen Kinder gar ein Segen, in Kinderarmut mit all derer Folgen aufzuwachsen? Getreu dem Motto “Nur die Harten kommen in den Garten”? Weil die “Hartz IV Kinder” ja genügend Zeit haben, sich an das Leben in Armut anzupassen und kreative Lösungsstrategien zu entwicklen? Vielleicht mit einer Karriere als Gambler oder Bankräuber? Werden die Jungs und Mädchen aus finanzschwachen Familien im schulischen Bereich von den “Rich Kids” auf der Überholspur direkt in die internationalen Elite-Universitäten abgehängt?
Stereotypes Vorurteil: Hartz IV Empfänger rauchen und saufen lieber, anstatt sich um die Kinder zu kümmern
Hartz-4 Eltern stehen unter gesellschaftlich anerkanntem Generalverdacht, schlechte Eltern zu sein. Statt Schulmaterialien, sinnvollen Freizeitangeboten und gesunder Ernährung versaufen und verqualmen Hartz-4-Empfänger allmonatlich die Stütze. So das stereotype Vorurteil, das immer wieder dazu instrumentalisiert wird, gegen die Abschaffung von H4 Stimmung zu machen, spürbare Erhöhungen der Regelsätze zu verhindern und die Elternautonomie auszuhöhlen.
Sorglose Eltern – glückliche Kinder
Ja, es ist wirklich verdammt einfach, gesellschaftliche Probleme derart zu lösen, dass man dem einzelnen Individuum Versagen auf ganzer Ebene vorwirft. Doch Kinderarmut ist nicht die Schuld der Eltern, sondern ein Phänomen einer schwachen Gesellschaft und einer misslungen Politik.
Eines der besten Beispiele wird in dem Beitrag “Die verlorene Generation: Hartz-IV-Kinder in Deutschland” unmissverständlich thematisiert: Das Bildungs- und Teilhaberpaket, das monatlich 10 Euro für in Armut lebenden Kindern bereitstellt. 10 Euro pro Kind und Monat!
“Es sieht einen Zuschuss von monatlich zehn Euro für Musikunterricht oder die Mitgliedschaft in einem Sportverein vor. Wer schon einmal einen Musiklehrer suchte, kennt die Realität: Für zehn Euro im Monat gibt es nicht mal frische Saiten auf die Gitarre, geschweige denn Musikstunden.”
Kinder sind Zukunft – und deshalb sollte Staat und Gesellschaft daran gelegen sein, dass Väter und Mütter sich ohne finanzielle Sorgen um den Nachwuchs kümmern können. Wer als Elternteil nicht weiß, wie er die nächste Stromrechnung bezahlen oder mit der Familie ab und an einen tollen Ausflug finanzieren kann und darüber hinaus jeden Cent mehrmals umdrehen muss, um den aktuellen Monat zu überbrücken, hat es nicht leicht.
Sorgen und Existenzängste machen sich breit. Wieviel Spielraum – und Geld – bleibt da noch für gesunde Ernährung und individuelle Förderung der Kinder. Da hilft es auch nicht, wenn die (noch) gutsituierte Mittelschicht und Politiker polemisch anmerken, dass mit der Grundsicherung Hartz 4 ja alle Kosten abgedeckt seien und man für Nichtstun bezahlt würde.
Das ist schlichtweg falsch, denn gerade durch die Einführung von Hartz 4 wurden zahlreiche einmalige Beihilfen gestrichen, die es früher noch für Einzelpersonen und Familien gab – zum Beispiel die Weihnachtsbeihilfe, die zwar nur für kleine Weihnachtsgeschenke, aber immerhin für Weihnachtsgeschenke unter dem Christbaum sorgte. Weihnachtsgeschenke, die zumindest über die Festtage für strahlende Kinderaugen sorgte und betroffene Familien wenigstens einmal im Jahr für eine kurze Zeit vergessen ließ, das Geld in unserer Gesellschaft wichtiger ist, als Menschlichkeit.
Kinder sind Zukunft, so heißt es immer wieder. Doch sorgenfreie Eltern, die nicht am Existenzminimum herumkrebsen, sind jene Menschen, welche die Kids auf ein glückliches und zufriedenes Leben vorbereiten und den Kopf frei haben sollten, ihre Söhne und Töchter optimal zu fördern. Mindestens 18 Jahre lang, oft darüber hinaus.
Der Staat muss das System Familie stärken und in Kinder investieren! Das fängt bei spürbarer finanzieller Entlastung an – nicht durch Ganztagsschulen und Mittagessen in unpersönlichen Schulkantinen. Kinder zu versorgen und zu erziehen ist Pflicht, zugleich aber auch das natürliche Recht der Eltern. Kinder gehören in ihrer Familien, dort findet die beste Förderung statt, wenn es die finanziellen Möglichkeiten der Eltern zulassen.
Kostenlose Busfahrkarten, kostenlose Schulbücher, Unterrichtsmaterialien, Klassenausflüge, Bildungsfahrten würden nachhaltig dazu beitragen, die finanziellen Sorgen von Eltern zu vermeiden und Kinderarmut zu beenden.
Das bedingungslose Grundeinkommen – immer wieder diskutiert, könnte ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung zu ein, um einkommensschwache Familien vom Rande der Gesellschaft uneingeschränkt in die Gesellschaft zu integrieren – ohne das natürlich Recht auf Erziehung zu schmälern.